VAETER UND VATER

Einer Welt, die eine ,,Brüderlichkeit ohne Vater" aufbauen will, offenbart die Bibel, daß Gott wesentlich Vater ist. Von der Erfahrung der Väter und Gatten der Erde ausgehend, denen das Familienleben die Grundlage für die Ausübung der Autorität und für die Vollendung in der Liebe bot, und im Gegensatz zu der abwegigen Art und Weise, wie das Heidentum diese menschlichen Wirklichkeiten auf seine Götter übertrug, offenbart das Alte Testament durch die Bilder vom Bräutigam und vom Vater die Liebe und die Autorität des lebendigen Gottes. Das Neue Testament greift beide Bilder auf, "erfüllt" aber das des Vaters durch die Offenbarung der einzigartigen Sohnschaft Jesu und die noch völlig ungeahnte Dimension, die diese Sohnschaft der Vaterschaft Gottes im Hinblick auf alle Menschen verleiht.

I. Die Väter der fleischlichen Abstammung nach

1. Meister und Herr. Auf jener Ebene, die wir als horizontale bezeichnen könnten, ist der Vater das unbestrittene Haupt der Familie, der, den die Frau als Meister (ba'al Gn 20, 3) und Herrn (,adon 18, 12) anerkennt, von dem die Erziehung der Kinder abhängt (Sir 30, 1 - 13), der Abschluß der Ehen (Gn 24, 2ff; 28, 1f) die Freiheit der Töchter (Ex 21, 7), ja (in alter Zeit) sogar das Leben der kleinen Kinder (Gn 38, 24; 42, 37). In ihm inkarniert sich die gesamte Familie, deren Einheit er verbürgt (z. B. 32, 11) und die deshalb als bajit ab, als ,,Vaterhaus", be zeichnet wird 34, 19).

Wenn aber das Haus in übertragenem Sinne auch einen Clan (z. B. Zach 12, 12 ff), eine bedeutende Volksgruppe (z. B. ,,das Haus Josephs") oder sogar das gesamte Volk (,,das Haus Israel") bezeichnen kann, so deshalb, weil man sich die Autorität des Oberhauptes dieser Gruppen analog zu der des Familienvaters vorgestellt hat (vgl. Jr 35, 18). Zur Zeit der Monarchie wird der König als ,,der Vater" des Volkes bezeichnet (Is 9, 5). so wie Nabonid in Babylonien als ,,Vater des Vaterlandes" bezeichnet wurde. Der Name Vater wurde auch auf die Priester (Ri 17, 10; 18, 19), auf die königlichen Ratgeber (Gn 45, 8; Est 3, 13f; 8, 12), auf die Propheten (2 Kg 2, 12), auf die Weisen (Spr 1, 8 usw.; vgl. Is 19, 11) angewendet, und dies auf Grund ihrer Autorität als Erzieher. Durch ihre horizontal sich auswirkende Strahlkraft bereiteten die ,,Väter" dieser Erde Israel darauf vor, als ein einzig dastehendes Volk das Heil Gottes zu erlangen und in Gott seinen Vater zu erkennen.

2. Stammvater eines Geschlechtes. Auf der vertikalen Ebene ist der Vater der Ausgangspunkt einer Nachkommenschaft und Glied einer Geschlechterfolge. Durch Zeugung lebt er selber weiter (Gn 21, 12; 48, 16), trägt er zum Fortbestand seines Geschlechtes bei, sichert er das UEbergehen des Familienbesitzes auf Erben, die aus ihm hervorgegangen sind (15, 2f). Wenn er kinderlos stirbt, wird er als ein von Gott Bestrafter betrachtet (Nm 3, 4; 27, 3 f).

Da die Ahnen an der Spitze des Geschlechtes stehen, sind sie die Väter schlechthin, in denen die Zukunft des Geschlechtes im Keime vorausgestaltet ist. Wie die Ver fluchung der Söhne Chams die Unterordnung der Kananäer unter die Söhne Sems nach sich gezogen hat, war mit der Auserwählung und dem Segen Abrahams die Größe Israels schon im voraus gegeben (Gn 9, 20 - 27; 12, 2). Die Etappen des Lebens Abrahams, Isaaks und Jakobs sind durch die Verheißung einer zahllosen Nachkommenschaft und eines fruchtbaren Landes von vornherein abgesteckt. Denn die Geschichte Israels ist in ihre Geschichte bereits filigranartig eingewoben, so wie die der Nachbarvölker in die Geschichte der von den Verheißungen ausgeschlossenen Lot, Ismael und Esau (Gn 19, 30 - 38; 21, 12f; 36, 1). Gleicherweise führt jeder Stamm die Verantwortung für seine Situation im Gesamtgefüge seines Volkes auf seinen eponymischen Ahnen zurück (Gn 49, 4). Obgleich die Genealogien häufig auch andere und viel kompliziertere Beziehungen zum Ausdruck bringen als den Zusammenhang des Blutes (Gn 10), bringen sie doch die Geschlechterfolgen in ein System und unterstreichen auf diese Weise die Bedeutung der Ahnen, deren Tun die Zukunft und die Rechte ihrer Nachkommen entscheidend beeinflußt hat. Vor allem die Genealogien der priesterlichen UEberlieferung (Gn 5, 11) bringen die Geschlechterfolgen mit der göttlichen Erwählung und mit dem Heile in Zusammenhang, indem sie selbst zwischen Adam und den Patriarchen eine geschlossene Kontinuität herstellen.

II. Die Väter der geistigen Abstammung nach

Wenn die Patriarchen die Väter schlechthin des auserwählten Volkes sind, so strenggenommen nicht auf Grund ihrer physischen Vaterschaft, sondern auf Grund der >> Verheißungen die über den Blutszusammenhang hinaus letztlich alle jene angehen, die ihren Glauben nachahmen. Ihre Vaterschaft ,,dem Fleische nach" (Röm 4, 1) bildet nur die vorübergehende Voraussetzung für eine geistige und allumfassende Vaterschaft, die auf der Fortdauer und auf dem ununterbrochenen Zusammenhang des Heilsplanes eines Gottes beruhte, der von der Auserwählung Abrahams bis zur Verherrlichung Jesu unaufhörlich am Werke ist (Ex 3, 15; Apg 3, 13). Der Theologe dieser geistigen Vaterschaft ist der hl. Paulus gewesen; der Gedanke als solcher aber war schon im Alten Testament vorbereitet.

1. Auf dem Wege zur UEberbietung des Vorrangs des Blutes. Der geistige Aspekt der Vaterschaft der Stammväter gewann im Alten Testament in dem Ausmaße an Bedeutung, als sich die Vorstellung von der Schicksalsverbundenheit im Bösen wie im Guten vertiefte. Der Stammbaum der ,,Väter", der mit jedem Geschlechte wächst, umfaßt nicht nur die Patriarchen, ja nicht einmal nur jene Ahnen, deren Lobpreis man im zweiten Jahrhundert besang (Sir 44 - 50; 1 Makk 2, 51 - 61), er umfaßt auch Menschen, die sündig geworden sind, deren erster Reihe einzelne Propheten selbst Jakob, der seinem Volke den Namen gegeben hat, zugezählt haben (Os 12, 3ff; Is 43, 27). Nun aber üben jene, die Unrecht getan haben, einen entscheidenden Einfluß auf ihre Nachkommenschaft aus, die in ihrem Ungehorsam und in ihrer Strafe als mit ihnen solidarisch betrachtet werden (Ex 20, 5; Jr 32, 18; Bar 3, 4f; Klgl 5, 7; Is 65, 6f; Dn 9, 16). Aus der Tatsache, daß sie dem Blutszusammenhange nach deren Väter gewesen sind, folgerte man, daß sie diesen mittels einer regelrechten sittlichen Vaterschaft ihre Verfehlungen oder wenigstens jene Strafen die sie sich dadurch zugezogen haben, weitervererben. Jeremias (31, 29f) und Ezechiel (18) erhoben gegen diese Vorstellung von der Vergeltung Protest: die Strafe richtet sich nach dem Ausmaß der persönlichen Schuld.

Vom Exil an zeichnet sich im Hinblick auf die Solidarität im Guten ein ähnlicher Fortschritt ab. Gott ist niemals so klar als der alleinige Vater seines Volkes sichtbar geworden als eben in dem Augenblick, da Abraham und Jakob, deren Erbe Eindringlinge übernahmen (vgl. Ez 33, 24), auf ihre Nachkommenschaft vergessen zu haben schienen (Is 63, 16); und dies deshalb, weil inmitten der Prüfung ein qualitatives Israel erstand, dem nicht alle Nachkommen Abrahams dem Fleische nach angehörten, sondern nur jene, die sein Suchen nach der Gerechtigkeit und seine Hoffnung nachahmten (Is 51, 1ff); erwies sich doch das Geschlecht Israels in der Ahnenreihe der Väter ebenso wie in jener der Mütter von Anfang an als unrein (Ez 16, 3) und gibt der Chronist selber zu, daß sein Volk mit heidnischen Clans blutsverwandt ist (1 Chr 2, 18 - 55), und verkündeten die Propheten, daß die Proselyten dem Volk der Verheißungen eingegliedert werden könnten (Is 56, 3 - 8; vgl. 2 Chr 6, 32f). Trotz des erwachenden Nationalismus war die Zeit nicht mehr ferne, da die heilbringende Vaterschaft Abrahams und der großen Ahnen nicht mehr in Form eines Zusammenhangs des Blutes, sondern eines solchen des Glaubens wirksam werden sollte.

2. Vom Volke zur gesamten Welt. In dem Maße, als die Vaterschaft der Ahnen geistiger verstanden wurde, wurde sie auch umfassender. Dies tritt bei Abraham in aller Deutlichkeit zutage. Nach der priesterlichen UEberlieferung bedeutete sein Name ,,Vater einer Vielheit", d. h. Vater einer Vielheit von Völkern (Gn 17, 5). Ebenso wurde die Verheißung von Gn 12, 3: ,,Durch dich werden sich alle Völker der Erde für gesegnet halten", in der griechischen UEbersetzung zu: ,,In dir werden gesegnet sein. . . (vgl. Sir 44, 21; Apg 3, 25; Gal 3, 8). An Stelle eines Lobpreises auf das auserwählte Geschlecht will die LXX den Gedanken nahelegen, daß eines Tages alle Völker am Segen Abrahams Anteil erhalten werden.

Diese universalistischen Strömungen, denen zwar die umgekehrte Tendenz, die aus dem Volk ein Absolutum machen wollte (Est 9, 2), noch häufig das Gleichgewicht hielt, wurden von Johannes dem Täufer und von Jesus zum Siege geführt: ,,Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams erwecken" (Mt 3, 9 par.), sagt Johannes. Und wenn Jesus eine Abstammung von Abraham als heilsnotwendig erklärt, dann nicht im Sinne eines Geschlechtszusammenhanges, sondern im Sinne der Buße (Lk 19, 9), der Nachahmung der Werke des Patriarchen, das aber heißt seines Glaubens (Jo 8, 33. 39f). Christus gibt zu verstehen, daß Gott den Vätern durch die Berufung der Heiden eine geistige Nachkommenschaft von Glaubenden erwecken wird (Mt 8, 11).

3. Von der Vorhersage zur erlebten Wirklichkeit. Das Leben der Kirche, die die Ankündigung Jesu erstmals verwirklicht hat, veranlaßt den großen Lehrer der Heiden (1 Tim 2, 7) auf Grund seiner Erfahrungen aus der judaistischen Krise, dieselben Themen zu vertiefen. Gewiß kommt nach dem hl. Paulus den ,,um ihrer Väter willen geliebten" (Röm 11, 28) Angehörigen ,,Israels dem Fleische nach" (1 Kor 10, 18), auf Grund der ihnen gewordenen >> Verheißungen (Apg 13, 17. 3f) in der Berufung zum Heile ein Vorrecht zu (Röm 1, 16; vgl. Apg 3, 26), obwohl sich viele von ihnen weigerten, dem Erben der Verheißungen schlechthin Glauben zu schenken (Gal 3, 16), und sich dadurch gleich Ismael zu Sklaven machten (Gal 4, 25). Innerhalb des ,,Israel Gottes" (Gal 6, 16) aber ist kein Unterschied mehr zwischen Juden und Heiden (Eph 3, 6): ob beschnitten oder nicht, alle, die sich auf den Glauben Abrahams, des Vaters von uns allen, ,,berufen", werden zu Söhnen des Patriarchen und zu Teilhabern an den Segnungen die seiner Nachkommenschaft verheißen sind (Gal 3, 6ff; Röm 4, 11 - 18). Aus der Taufe ersteht ein neues, geistiges Geschlecht von Kindern Abrahams der Verheißung nach (Gal 3, 27ff), ein Geschlecht, dessen erste Vertreter alsbald selber wieder als Väter bezeichnet wurden (2 Petr 3, 4).

III. Die Vaterschaft des Gottes der Väter

1. Von den Vätern zum Vater. Die fortschreitende Läuterung der Auffassung von der menschlichen Vaterschaft hat die Offenbarung der Vaterschaft Gottes ermöglicht. Wenn die Vaterschaft der Patriarchen während des Exils ihrer Wirkkraft beraubt schien, so bildete dies die Veranlassung, den Fortbestand der Vaterschaft Jahves zu preisen (Is 63, 16). Trotz dieses Gegensatzes konnte daher den Stammvätern die Vaterschaft ebenso zuerkannt werden wie Gott. Dasselbe ergibt sich aus der priesterlichen Geschichte: indem sie den nach dem Bilde Gottes geschaffenen Adam (Gn 1, 27), der seinerseits wieder nach seinem Bilde Nachkommen zeugte (5, 1ff), an die Spitze der Geschlechterfolgen gestellt hat, weist sie darauf hin, daß die Stammfolge letztlich bis auf Gott zurückgeht. Lukas wird später genau dasselbe tun (Lk 3, 23 - 38). Für den hl. Paulus endlich ist Gott der höchste aller Väter, dem jede patria (d. h. von einem und demselben Ahnen hervor gegangene Menschengruppe) ihr Dasein und ihre Bedeutung verdankt (Eph 3, 14f). Auf diese Weise besteht zwischen den menschlichen Vätern und Gott eine AEhnlichkeit, die es gestattet, auf diesen den Vaternamen anzuwenden; ja noch mehr, diese göttliche Vaterschaft allein verleiht jeder menschlichen Vaterschaft erst ihre volle Bedeutung im Heilsplan.

2. Transzendenz der göttlichen Vaterschaft. Indes ist es kein Analogieschluß gewesen

der Israel dazu geführt hat, Gott seinen Vater zu nennen. Dazu hat eine Erfahrung geführt, die erlebt worden ist, vielleicht auch eine Reaktion gegen die Vorstellungen der Nachbarvölker.

Alle Völker der Antike haben Gott als ihren Vater angerufen. Bei den Semiten reichte diese Gepflogenheit in sehr frühe Zeit zurück; dabei schloß die Vatereigenschaft Gottes für diesen eine Aufgabe des Schutzes und der Oberherrschaft in sich. In den Texten aus Ugarit (14. Jh.) wird El, der höchste Gott des kananäischen Pantheons, als ,,König und Vater Schunem" bezeichnet; dadurch brachte man seine Herrschaft über Götter und Menschen zum Ausdruck. Selbst sein Name El, den auch der Gott der Patriarchen trug (Gn 46, 3), dürfte ursprünglich den Scheich bezeichnet haben und brachte dadurch seine Autorität über das zum Ausdruck, was man gelegentlich seinen ,,Clan" nennt.

In dieser ursprünglichen Bedeutung mag die Vorstellung von der göttlichen Vaterschaft in die Bibel übergegangen sein. Doch wurde damit noch eine andere Bedeutung verbunden, die das Alte Testament zurückweist. Denn der phönizische El, der gleich dem ägyptischen Min mit einem Stiere verglichen wurde, befruchtete seine Gemahlin und brachte andere Götter hervor. Baal, der Sohn des El, war jener Gott, der durch den rituellen Nachvollzug seiner Vereinigung mit seiner Gemahlin den Menschen und Tieren wie dem Erdboden Fruchtbarkeit bringen sollte. Jahve aber ist ein einziger Gott. Er hat weder Geschlecht noch weibliche Entsprechung, noch Söhne und Töchter im fleischlichen Sinn. Wenn die Engel (Dt 32, 8; Ps 29, 1; 89, 7; Jb 1, 6.. .), die Fürsten und die Richter (Ps 82, 1. 6) gelegentlich dichterisch als Söhne Gottes" bezeichnet werden, so geschieht dies in Nachahmung ihrer syro-phönizischen Quellen, aber in der Weise, daß diese bloßen Kreaturen Gott unterstellt werden, dem keinerlei Vaterschaft physischer Ordnung zugeschrieben wird. Wenn Jahve als ,,Geber des Seins" bezeichnet wird (Dt 32, 6), so offensichtlich im moralischen Sinne: Er ist nicht der Vater von Göttern und der Gemahl einer Göttin, sondern der Vater und Bräutigam seines Volkes (Os, Jr). Wenn ihm auch als Schöpfer die Vaterschaft zukommt (Is 64, 7; Mal 2, 10; vgl. Gn 2, 7; 5, 1ff), so nicht auf Grund phantastischer Theogonien, wie beispielsweise in den babylonischen Mythen. Endlich hat jener Gott, der machtvoll ,,dem Getreide gebietet" (Ez 36, 29), mit dem Fruchtbarkeitsbaal und der Magie seiner erotischen Kulte, die die Propheten so sehr verabscheut haben, nicht das geringste zu tun. Er läßt sich nicht in dem Sinn als Vater anrufen, wie dies die Verehrer Baals mit ihrem Gott taten (Jr 2, 27). Alles deutet darauf hin, daß die Führer Israels den bei ihren Nachbarn geltenden Begriff der göttlichen Vaterschaft bewußt von allen seinen sexuellen Untertönen gereinigt haben, um nur jenen Aspekt festzuhalten, der aus einer auf die Familienoberhäupter und die Stammväter bezogenen sozialen Terminologie auf Gott übertragbar war.

3. Jahve, der Vater Israels. Zunächst wurde die göttliche Vaterschaft vor allem aus einer kollektiven und historischen Perspektive heraus verstanden: Gott hat sich zur Zeit des Auszugs als Vater Israels geoffenbart, da er sich als dessen Beschützer und Herr erwies. Der Grundgedanke ist der einer heilwirkenden Herrschaft, die Unterwerfung und Vertrauen erheischt (Ex 4, 22; Nm 11, 12; Dt 14, 5; Is 1, 2ff; 30, 1. 9; Jr 3, 14). Osee und Jeremias behielten diese Vorstellung bei, bereicherten sie aber durch die Betonung der unendlichen Liebe Jahves (Os 11, 3f. 8f; Jr 3, 19; 31, 20). Während man in exilischer Zeit dasselbe Thema von der auf der Erwählung gründenden Vaterschaft Gottes weiterhin auswertete (Is 45, 10f; 63, 16; 64, 7f; Tob 13, 4; Mal 1, 6; 3, 17) und das Canticum Mosis die Idee der Adoption hinzugefügt hat (Dt 32, 6. 10. 18), betrachteten einige Psalmisten (Ps 27, 10; 103, 13) und einige Weise (Spr 3, 12; Sir

23, 1 - 4; Weish 2, 13 - 18; 5, 5) auch jeden Gerechten als einen Sohn Gottes, d. h. als Gegenstand seines liebevollen Schutzes. Eine individuelle Anwendung, die nichts völlig Neues darstellt, wenn man die alten theophorischen Namen in Rechnung stellen darf: Eliab (Mein Gott ist Vater: Nm 1,9), Abiram (Mein Vater ist erhaben: Nm 16, 1), Abiezer (Mein Vater ist Hilfe: Jos 17, 2), Abia (Mein Vater ist Jahve: 1 Chr 7, 8), Ahirub (Mein Vater ist Güte: 1 Chr 8, 11).

4. Jahve als Vater des Königs. Seit David wird die Vaterschaft Jahves vor allem für den König in Anspruch genommen (2 Sm 7, 14f; Ps 2, 7; 89, 27f), durch den die göttliche Huld auf das gesamte Volk ausstrahlt, das er vertritt. Alle Könige des Vorderen Orients der Antike wurden als Adoptivsöhne ihres Gottes betrachtet, und der Ausdruck in Ps 2, 7: ,,Du bist mein Sohn", begegnet uns in einer babylonischen Adoptionsformel wörtlich. Doch bezogen sich die Willensäußerungen Gottes außerhalb Israels in den allermeisten Fällen auf bloße Launen, wie aus der Mesastele für den Gott Kemos hervorgeht (vgl. 2 Kg 3). In AEgypten aber ist er Vater im fleischlichen Sinne. Jahve dagegen ist ein Gott, der jenseits der fleischlichen Ordnung steht und das sittliche Verhalten der Könige sanktioniert (2 Sm 7, 14).

Diese Texte über die Sohnschaft der Könige bereiten in dem Maße auf die Offenbarung der einzigen Sohnschaft Jesu vor, als sich auf dem Weg über die Könige von Juda bereits das Bild des endgültigen Messias abzeichnet. Ein weiterer Schritt sollte nach dem Exil getan werden, und zwar durch das Hervortreten der Weisheit (Spr 8), die zur Tochter Gottes personifiziert, die jeglicher Kreatur voraufging, ja vielleicht sogar als wirkliche Person verstanden wurde und jene Hoffnung in sich zumammenfaßte, die sich seit der Prophetie Nathans mit der dynastischen Nachfolge Davids verband.

IV. Jesus offenbart den Vater

Zur Zeit, die dem Beginn der christlichen Zeitrechnung unmittelbar voraufging, war sich Israel durchaus bewußt, daß Gott der Vater seinem Volkes und jedes einzelnen seiner Gläubigen ist. Während der Vatername den Apokalypsen und Qumrantexten unbekannt war, vielleicht in Ablehnung jenes Gebrauches, den der Hellenismus davon machte, kommt er in den rabbinischen Schriften häufig vor, in denen uns sogar die Formel ,,Vater unser, der du bist im Himmel" wörtlich begegnet (Mt 6, 9).

Jesus hat das Beste der jüdischen Reflexion über die Vaterschaft Gottes zu seiner Vollendung geführt ( erfüllen ). Gleich dem Armen des Psalmes, für den die Gemeinde der ,,Menschen mit reinem Herzen", das einzige wahre Israel (Ps 73, 1), das ,,Geschlecht der Kinder Gottes" darstellt (73, 15), hat Jesus die aus ganz Kleinen (Mt 11, 25 par.) bestehende Gemeinde im Auge (der Betende soll sprechen: ,,Vater unser", nicht aber: ,,mein Vater"), denen der Vater seine Geheimnisse offenbart und deren jedes einzelne persönlich Kind Gottes ist (Mt 6, 4. 6. 18). Doch verkündet Jesus eine neue Botschaft, die selbst über jenen Universalismus hinausgeht, zu dem sich eine Strömung des Spätjudentums durchgerungen hatte. Wenn diese die Vaterschaft Gottes mit seiner Eigenschaft als Schöpfer in Zusammenhang gebracht hatte, so hatte sie doch daraus noch nicht den Schluß gezogen, daß Gott der Vater aller Menschen und alle Menschen Brüder seien (vgl. Is 64, 7; Mal 2, 10). Wenn sie weiterhin auch begriffen hatte, daß sich das göttliche Erbarmen auf ,,alles Fleisch" erstreckte (Sir 18, 13), so bezog sie dies im allgemeinen nur auf die Kinder Gottes, d. h. auf die Gerechten Israels, und war der Auffassung, daß nur diese deren volle Auswirkung erführen (Weish 12, 19 - 22; vgl. 2 Makk 6, 13 - 16). Daher wandte sie das deuteronomische Thema (Dt 8, 5) einer durch die väterliche Liebe eingegebenen ,,Züchtigung Jahves" (Spr 3, 11f; vgl. Hebr 12, 5 - 13) praktisch nur auf diese an. Bei Jesus dagegen wird die Gemeinde der ,,Kleinen", die sich defacto noch auf jene Juden beschränkte, die Buße taten und den Willen des Vaters erfüllten (Mt 21, 31 ff), auch Heiden umfassen (Mt 25, 32ff), die an die Stelle der ,,Kinder des Reiches" treten sollten (Mt 8, 12).

Diesem neuen Israel das von Rechts wegen bereits allen offenstand, läßt der Vater die notwendigen Güter in Fülle zuteil werden (Mt 6, 26. 32; 7, 11), vor allem aber den Heiligen Geist (vgl. Lk 11, 13) und tut ihm die Unendlichkeit seiner erbarmenden Liebe kund (Lk 15, 11 - 32); die einzige Voraussetzung ist, daß man diese einzige Vaterschaft demütig anerkennt (Mt 23, 9) und als Kind lebt, das zu seinem Vater betet (7, 7 - 11), ihm Vertrauen schenkt (6, 25 - 34), sich seinem Willen unterwirft und seine allumfassende Liebe (5, 44f), seine Bereitschaft zur Vergebung (18, 33; vgl. 6, 14f), sein Er barmen (Lk 6, 36; vgl. Lv 19, 2), ja seine Vollkommenheit nachahmt (Mt 5, 48). Wenn auch dieses Thema der Nachahmung des Vaters nicht neu ist (es findet sich Lk 6, 36 in einem Targum), so ist doch die Forderung nach dessen Anwendung auf das gegenseitige Verzeihen und auf die Feindesliebe neu. Gott ist niemals so sehr unser Vater, als wenn er uns seine Liebe erzeigt und uns vergibt, und wir sind niemals so sehr seine Kinder, als wenn wir unseren Brüdern gegenüber dasselbe tun.

V. Der Vater Jesu

1. Gott hat sich durch Jesus als Vater eines einzigen Sohnes geoffenbart. Daß Gott in einem einzigartigen Sinne sein Vater ist, gibt Jesus zu verstehen durch die Art und Weise, mit der er zwischen ,,meinem Vater" (z. B. Mt 7, 21; 11, 27 par.; Lk 2, 49; 22, 29) und ,,eurem Vater" unterscheidet (z. B. Mt 5, 45; 6, 1; 7, 11; Lk 12, 32), durch die Art und Weise, wie er sich als ,,den Sohn (Mk 13, 32), als den viel geliebten, d. h. als den einzigen Sohn bezeichnet (Mk 12, 6 par.; vgl. 1, 11 par.; 9, 7 par.), vor allem aber durch die Art und Weise, wie er sein Bewußtsein einer so innigen Verbundenheit zwischen sich und seinem Vater zum Ausdruck bringt, daß er um alle Geheimnisse des Vaters weiß und sie allein zu offenbaren vermag (Mt 11, 25ff). Die transzendente Tragweite der Ausdrücke ,,Vater" und "Sohn", die (zu mindest in der von Jesus übrigens vermiedenen Formel "Sohn Gottes") an sich nicht evident ist und von den Zeitgenossen Christi nicht verstanden worden wäre (Lk 4, 41), wird durch die des Menschensohn -Titels und durch die Inanspruchnahme einer über alles Geschaffene hinausgreifenden Autorität bestätigt. Eine weitere Bestätigung bildet das Gebet Jesu, der sich an seinen Vater mit der Anrede "Abba" wendet (Mk 14, 36), eine Vertrautheit, die vor ihm ohne Beispiel dasteht und eine Beziehung von einer Innigkeit kundtut, die ihresgleichen nicht kennt.

2. Gott zeugt in einem ewigen Akt seiner Vaterschaft einen wesensgleichen Sohn. Die ersten Theologen verdeutlichen das, was die Synoptiker vom "Vater unseres Herrn Jesus Christus" sagen (Röm 15, 6; 2 Kor 1, 3; 11, 31; Eph 1, 3; 1 Petr 1, 3). Sie sprechen von ihm oft unter seinem Vaternamen; an ihn denken sie auch, wenn sie vom ho theos sprechen (z. B. 2 Kor 13, 13). Der hl. Paulus handelt von den Beziehungen zwischen Vater und Sohn als den Urhebern unseres Heiles. Wenn er aber vom "eigenen Sohne Gottes" spricht und ihn den Adoptivsöhnen gegenüberstellt (Röm 8, 15. 29. 32) und wenn er "seinem vielgeliebten Sohne" das Schöpfungswerk selber zuschreibt (Kol 1, 13. 15ff), so setzt dies voraus, daß es in Gott ein Geheimnis transzendenter und ewiger Vaterschaft gibt.

Der hl. Johannes geht noch weiter. Er nennt Jesus den eingeborenen, d.h. den einzigen und vielgeliebten Sohn (Jo 1, 14. 18; 3, 16. 18; 1 Jo 4, 9). Er unterstreicht den einzigartigen Charakter der dieser Sohnschaft entsprechenden Vaterschaft (Jo 20, 17), die vollkommene Einheit der beiden Willen (5, 30) und der Tätigkeit (5, 17 - 20) des Vaters und des Sohnes, die sich in den wunderbaren Werken kundtut, die einer den anderen vollbringen läßt (5, 36), ihr gegenseitiges Ineinandersein (10, 38; 14, 10f; 17, 21), ihre gegenseitige Vertrautheit in Erkenntnis und Liebe (5, 20. 23; 10, 15; 14, 31; 17, 24ff), ihre gegenseitige Verherrlichung (12, 28; 13, 31f; 17, 1. 4f). Die Juden haben, von der Ebene des Handelns auf die Ebene des Seins übergehend, die Aussagen Jesu als Erklärungen der Gleichheit mit Gott verstanden (5, 17f; 10, 33; 19, 7). Sie hatten recht: Gott ist in Wahrheit ,,der eigene Vater" Jesu; dieser war schon vor Abraham (8, 57f) ,,im Schoße des Vaters" (1, 18; vgl. 1 Jo 1, 1ff).

3. In seiner Daseinsweise als Menschgewordener bleibt der Sohn dem Vater unterworfen. Wenn seine Sohneswürde Jesus auch gottgleich macht, so behält der Vater nach den Worten Christi selbst (z. B. Mt 26, 39 par.; 11, 26 f; 24, 36 par.) und denen der neutestamentlichen Verfasser doch seine väterlichen Vorrechte bei. Ihm schreibt die Urverkündigung (z. B. Apg 2, 24) und der hl. Paulus (z. B. 1 Thess 1, 10; 2 Kor 4, 14) die Auferstehung Jesu zu. Ihm kommt die Initiative des Heiles zu: Er erwählt und beruft den Christen (z.B. 2 Thess 2, 13f) und den Apostel (z.B. Gal 1, 15f); er ist es, der rechtfertigt (z B. Röm 3, 26. 30; 8, 30). Jesus ist nur der notwendige Mittler der Vater sendet ihn. (Gal 4, 4; Röm 8, 3; Jo passim), gibt ihn hin (Röm 8, 32), überträgt ihm ein Werk, das er vollbringen (z. B. Jo 17, 4), Worte, die er sagen (12, 49), Menschen, die er retten soll (6, 39f). Der Vater ist die Quelle und das Ziel aller Dinge (1 Kor 8, 6). Deshalb wird sich der Sohn, der nur in Abhängigkeit von ihm handelt (Jo 5,19; 14, 10; 15, 10), am Ende der Zeiten ihm als seinem Haupte (1 Kor 11, 3) unterwerfen (1 Kor 15, 28).

VI. Der Vater der Christen

Wenn die Menschen die Macht haben, Kinder Gottes zu werden (Jo 1, 12), so auf Grund dessen, daß Jesus es von Natur aus ist. Der Christus der Synoptiker wirft das erste Licht auf diesen Punkt, indem er sich mit den Seinigen identifiziert (z. B. Mt 18, 5; 25, 40), indem er sich als ihren Bruder bezeichnet (28, 10) und indem er sich eimnal sogar zugleich mit ihnen in die gemeinsame Bezeichnung "Söhne" miteinschließt (17, 26). Das volle Licht aber empfangen wir durch den hl. Paulus. Nach ihm befreit uns Gott aus der Knechtschaft und nimmt uns auf Grund des Taufglaubens an Kindesstatt an (Gal 4, 5ff; Röm 8, 14 - 17; Eph 1, 5). Dieser Taufglaube macht uns zu einem einzigen Sein in Christus (Gal 3, 26ff) und Christus zum erstgeborenen Sohn, der das väterliche Erbe mit seinen Brüdern teilt (Röm 8, 17. 29; Kol 1, 18). Der Heilige Geist ist der Zeuge dieser Adoption, weil er sie auch innerlich bewirkt; er bezeugt sie, indem er uns beten lehrt, wie Christus selbst gebetet hat, dem er uns gleichförmig macht, indem wir rufen: Abba, Vater! (Gal 4, 6; Röm 8, 14ff. 29.) Seit dem Ostertage bringt die Kirche durch das ,,Vater unser" das Bewußtsein zum Ausdruck, mit derselben Liebe geliebt zu werden, mit der Gott seinen eingeborenen Sohn umgibt (vgl. 1 Jo 3, 1). Vielleicht gibt uns der hl. Lukas das selbe zu verstehen, wenn er uns gleich Christus einfach sagen läßt: ,,Vater" (Lk 11, 2). Unser Leben als Kinder tut sich aber nicht nur in unserem Beten kund, sondern auch durch die brüderliche Liebe; denn wenn wir unseren Vater lieben, müssen wir auch alle seine Kinder, unsere Brüder, lieben: "Jeder, der seinen Vater liebt, liebt auch dessen Sohn" (1 Jo 5, 1). Abraham